Ich hatte in China in den Parks schon viele Menschen gesehen, die auf den Wegen Kalligraphie übten.
Jetzt wollte ich es auch einmal ausprobieren. Es sah für mich immer ganz einfach aus. Ich habe zwar befürchtet, dass es das nicht ist, aber ohne Versuch lässt sich das nicht herausfinden.
Zunächst erklärt Chen Xiaowang uns wie wir den Pinsel festhalten müssen. Der Pinsel soll ganz senkrecht in der Hand liegen. Ich verfalle immer wieder dazu, den Pinsel in meiner gewohnten Weise zu halten. Wobei ich schnell merke, dass es nicht gut funktioniert, wenn ich den Pinsel „falsch“ halte. Als erstes dürfen wir senkrechte und waagerechte Striche zeichnen. Chen Xiaowang zeichnet jedem von uns ein paar Striche vor und wir versuchen uns an seine Striche anzunähern. Gleich verfahren wir mit Punkten, die mir, auch wenn es sich vielleicht merkwürdig anhört, noch schwerer fallen als die Striche. Nach einigen Grundübungen zeichnen wir das Zeichen für „Ewig“ hier sind alle acht Grundstriche enthalten. Wir sind immer darauf bedacht die Striche in der korrekten Reihenfolge aufzusetzen und zwischen weich und hart zu unterscheiden. Zumindest ich muss mich sehr konzentrieren und bin nach gut zwei Stunden ‚malen’ etwas erschöpft, aber um eine Erfahrung reicher.
Noch ein Zitat von Liang Qichao,
„Schreiben kommt ganz von der Kraft im Pinsel, ob die da ist oder nicht, das entscheidet, ob es ein gutes Zeichen wird. Und ob die Kraft da ist im Strich, das merkt man sofort beim Schreiben. “
… und da ist sie wieder, die Verbindung zum Taijiquan.
Ein unvergessliches Seminar mit Großmeister Chen Xiaowang ist zu Ende gegangen. Am Freitag Abend stehen drei Stunden „Stehende Säule“ und „Seidenübungen“ auf dem Programm. Zunächst erklärt Großmeister Chen Xiaowang geduldig Sinn und Zweck der Aufwärmübungen, welche wir anschließend gemeinsam machen. Wir entscheiden uns gemeinsam für die Variante „Small Warm Up“, welche auch über 30 Minuten dauern soll.
Anschließend erklärt er häufige Fehler bei der „Stehenden Säule“. Zwei von uns dürfen hierbei als Modell zur Verfügung stehen. Ich habe das großen Glück und bin eine davon. Er fragt die Teilnehmer ob wir gerade stehen, was diese natürlich verneinen und korrigiert uns anschließend. Bei mir hat er die große Freude den Teilnehmern zeigen zu können, dass ich auch nach wiederholter Korrektur wieder in meine gewohnte Struktur verfalle. Ich habe mich wirklich bemüht stehen zu bleiben, um mich aufzubauen oder auch um Teilnehmer mit ähnlichem Verhalten zu beruhigen wird darauf hingewiesen, dass es normal ist, dass Korrekturen nicht lange gehalten werden können. Während wir zwei Modelle weiter in der „Stehenden Säule“ stehen bilden die anderen Teilnehmer Paare. Einer steht in der „Stehenden Säule“ und der andere versucht ihn dabei zu korrigieren. Aufgabe beider ist es die Hinweise die es zuvor von Chen Xiaowang zur Korrektur gab einzubauen. Anschließend geht Chen Xiaowang rum und korrigiert. Nach einer kurzen Pause wechseln die Paare und das selbe Spiel geht von vorne los. Am Ende stehen wir alle zusammen und Chen Xiaowang korrigiert nochmal.
Zum Schluss machen wir noch gemeinsam die „Kleinen Seidenübungen“ und die „Seidenübung mit dem Bein“. Erschöpft und glücklich gehen danach die Teilnehmer nach Hause. Ich bin auf jeden fall besonders glücklich und gefühlt auch besonders erschöpft wegen der zahlreichen Korrekturen. Ich schaffe es zumindest nicht mehr mit den anderen zum Abendessen und einen Absacker nach draußen, sondern gehe direkt ins Bett.
Bevor es Samstag zum Seminar geht dürfen natürlich die berühmten Marillenknödel im Café Bazar nicht fehlen. So gibt es für einige Schüler vorher, statt einem ausgewogenem Mittagessen, zwei Marillenknödel. Mit Blick auf die Salzach ist dies eine perfekte Vorbereitung auf das Seminar.
Am Samstag steht der erste und zweite Teil der Laojia Yilu auf dem Programm. Nach einem „Small Warm Up“ starten wir gleich in die Form. Großmeister Chen Xiaowang steht vorne und wir laufen einige Male die Form gemeinsam. Anschließend stellt er erfahrene Schüler nach vorne und er klatscht und korrigiert an einigen Stellen. In der Pause zeigt er seine Kalligraphien und erklärt sie im einzelnen. Nach der Pause gehen wir den zweiten Teil der Form durch. Am Ende des Tages ist noch etwas Zeit für Fragen zu Bewegungsabläufen und Positionskorrekturen von Großmeister Chen Xiaowang. Gerne nehmen einige Schüler dies in Anspruch um einzelne Bewegungen von ihm erklären und korrigieren zu lassen oder auch Fajin Bewegungen zu verbessern.
Am Sonntag stehen dann Teil drei und vier der Laojia Yilu auf dem Programm. Als kleine Überraschung bietet Großmeister Chen Xiaowang nach dem aufwärmen an, wir könnten noch etwas in der „Stehenden Säule“ stehen und er würde uns korrigieren. Begeistert stellen wir uns auf und werden mit schönen Korrekturen belohnt. Danach gehen wir in gewohnter Weise den dritten Teil der Form durch. Am Nachmittag wiederholt sich das Training mit dem vierten Teil der Laojia Yilu inklusive „Stehender Säule“ nach dem aufwärmen. Am Ende des Tages ist wieder Zeit für Fragen. Nach einigen Fragen zu Bewegungsabläufen stehen insbesondere die Positionskorrekturen im Vordergrund. Jeder Schüler kann zwischen Suppe, Spagetti/Pasta und Pizza bei seiner Korrektur wählen. Dies ist der Code nach dem die Korrekturen eingeteilt sind. In einer Suppen Korrektur lässt es sich noch recht komfortabel stehen, in der Pasta fangen die Beine langsam aber stetig an zu brennen. Diese Korrekturen haben den Vorteil, das man sie zumindest einen Moment stehen kann. Die Pizzakorrekturen führten bei den Schülern zu glücklichen Gesichtern und brennenden Beinen. Ohne seine Unterstützung konnten wir die Korrekturen nicht halten und auch so gaben wir uns alle irgendwann geschlagen, bzw. die Muskeln gaben nach oder doch der Geist. Egal wie. Korrekturen von Großmeister Chen Xiaowang sind wie Drogen, man will einfach immer mehr davon. Glücklich und mit schweren Beinen geht ein grandioses Seminar zu Ende.
Vielen Dank dafür an alle die zu diesem wunderbaren Wochenende beigetragen habe.
Ich habe die große Ehre und darf den Großmeister Chen Xiaowang in München vom Flughafen abholen und mit nach Salzburg zum Seminarort nehmen. Doch etwas unruhig stehe ich um kurz vor 18:00 Uhr in München im Terminal 2 und warte auf den Flieger aus Zagreb mit dem Großmeister Chen Xiaowang. Das Auto ist vollgetankt, eine Flasche Wasser ist besorgt und ich bin entgegen meiner Gewohnheit pünktlich. Gegen 18:30 Uhr ist es dann so weit, der Großmeister Chen Xiaowang erscheint hinter der Absperrung. Nach anfänglichem zaghaften winken und dem Versuch seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen finden wir uns zusammen.
Ich erkläre ihm, das das Auto im Parkhaus steht und er sagt, „I follow you.“ War das nicht ansonsten andersherum? Völlig unkompliziert gelangen wir so zum Auto und auch sein großer Koffer ist schnell in meinem kleinen Auto verstaut. Die Fahrt mit dem Großmeister ist sehr entspannt. Ich fahre und wir plaudern nett. So unkompliziert habe ich mir das gar nicht vorgestellt. Ist es aber.
Am Chiemsee fahren wir dann in den Stau und entschließen kurzerhand was essen zu gehen. Dank freundlicher Hinweise einiger Passanten finden wir ein nettes Restaurant. Ich rutsche auf meinem Stuhl immer etwas hin und her, weil ich meinen unteren Rücken nach dem Tag im Auto gut spüren kann. Der Großmeister Chen Xiaowang fragt ob ich Probleme hätte und steht mitten im Restaurant mit mir auf um ein paar Lockerungsübungen zu machen. Leider werden wir vom Kellner unterbrochen der die Saiblinge für uns bringt. Laut Karte frisch aus dem Chiemsee. Wie auch immer, lecker waren sie.
Vom Chiemsee sind wir dann noch mal auf die Autobahn und die letzten Kilometer nach Salzburg gefahren. Beide sind vom Essen etwas schläfrig und wir schweigen. Dank des vorher besorgten Einfahrtcodes für die Linzergasse kann ich den Großmeister Chen Xiaowang bis vor sein Hotel bringen und in Claudias Hände abgeben, die das Seminar organsiert hat. Vielen Dank dafür.
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